Jakob Knapp

Der Barbier von Sevilla, Nordharzer Städtebundtheater, 2016

MIT FREUDE AM POSSENSPIEL
„Der Barbier von Sevilla“ feiert Premiere am Nordharzer Städtebundtheater

Volksstimme vom 27.12.2016 von Hans Walther

Genialer Rossini! Seine absolute Erfolgsoper „Der Barbier von Sevilla“ in der Regie von Susanne Knapp bescherte dem Nordharzer Städtebundtheater wie dem Publikum gleichermaßen ein riesiges Vergnügen zu Weihnachten. Am 25. Dezember war in Quedlinburg die umjubelte Premiere des Juwels.

Die phantasiereiche Bühne und die Kostüme der Ausstatterin Jakob Knapp stammten aus dem Theater Vorpommern Stralsund-Greifswald-Putbus. Alles auf der Bühne wurde bespielt. Es gab nichts Überflüssiges. Auftrittsorte und Überraschungen pur mit zweietagigen hohen Wänden, Klappen, Türen, Projektionsflächen für Schattenspiel und mit dem Boudoir des reichen Mündels Rosina (Bènèdicte Hilbert).


Ihr alter Onkel Doktor Bartolo (der Erzkomödiant Klaus-Uwe Rein) will sie ehelichen, um sich zu sanieren. „Ein aufgeweckter Liebhaber kommt ihm zuvor und macht sie am gleichen Tag vor der Nase und im Hause des Vormunds zu seiner Frau. Das ist die ganze Geschichte.“ (Beaumarchais) Ein Friseur, der „Barbier von Sevilla“ (Michael Rapke), wird zum umtriebigen Strippenzieher des Komplotts, um gegen ein sattes Salär den Grafen Almaviva (Max An) der Angebeteten zuzuführen.


Es war sängerisch und darstellerisch eine Traumbesetzung! Ohne Gäste, ganz aus dem Ensemble des Städtebundtheaters. Allen voran die Koloratursopranistin Bènèdicte Hilbert, die traumwandlerisch blitzsauber in höchsten Höhen schwebte. Eine bildschöne schlanke Frau, sehr sexy. Dazu der sehr jugendlich wirkende Max An mit weichem lyrischen Tenor, der Bassbuffo Klaus-Uwe Rein und der mannhaft gewitzt-wuselige Michael Rapke. Wie ein Kind, das Freude am Possenspiel hat.


Ausgerechnet Rosinas Musiklehrer Don Basilio (dem Charakterbaß Gijs Nijkamp) war der Schmuddelwinter auf die Stimme geschlagen. Er spielte seine Szenen; gesanglich buchstäblich in letzter Minute griff aus Stralsund der Sänger Tye Maurice Thomas zur Rettung der Premiere ein. Anders als damals an der Küste – die Oper wurde auf Italienisch gegeben – musste er am Bühnenrand in der Nordharzer Inszenierung den Text auf Deutsch singen. Vorzüglich! Wohl auch deshalb, weil Thomas den Rhythmus der Arbeit von Susanne Knapp genau kannte.


Die Regisseurin kam sehr gut mit der Übertragung ins Deutsche zurecht. Fast jedes Wort des ausgezeichneten Ensembles war verständlich und sicherte den Zuhörern ungetrübten Komödienspaß – ob bei den Wahnsinnsarien, ob mit den Rezitativen, ob bei den Finali des ersten und zweiten Aktes.
Sie verzichtete auf die Verkleidung des von Jan Rozehnal studierten achtköpfigen Männerchores als Soldaten. Stattdessen bildete er eine Brassband, die zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten und Orten slapstickmäßig ins Geschehen eingriff. Großes Vergnügen!


„Die Menschen maskieren sich nicht, sie sehen nur ziemlich schräg aus“, sagte Susanne Knapp im volksstimme-Interview. „Viel entscheidender ist, den ganz realen menschlichen Impuls und Trieb zu überhöhen. Die Menschen werden da sehr glaubwürdig.“

Also keine Karikatur, sondern eine große Portion Ironie und enorme Liebe zu den Protagonisten.

Die Regisseurin erwies sich damit nach ihrer 2015 mit dem Theaterpreis ausgezeichneten „Rigoletto“-Inszenierung erneut als wichtige Bühnen-Persönlichkeit. Als große Versteherin und Aufzeigerin der innersten menschlichen Beweggründe. Mit großem Spielwitz, der in der Musik Gioachhino Rossinis begründet liegt.

Das Orchester unter der Leitung des 1. Kapellmeisters Kari Kropsu spielte „seinen“ Rossini hinreißend schnell und schneller, immer transparent. Der Dirigent hielt dabei Orchestergraben und Szene bestens zusammen, vor allem in den quirligen Finali, bei denen das ganze Ensemble zusammen und durcheinander schnatterte.
Begeisterter Schlussapplaus. Ein schönes Weihnachtspräsent! Nach der Vorstellung trug ein Paar aus München ins Gästebuch ein

„Wundervolle Inszenierung! Ein wundervolles Theater – Ereignis.“

 

SUBTILE BOTSCHAFTEN 

Die Schwestern Susanne und Jakob Knapp präsentieren mit Rossinis „Barbier von Sevilla“ eine Oper, in der fast nie Luft geholt wird.

Mittelsächsische Zeitung, 27.12.2016 von Uwe Kraus

Kann man die komischste aller Opern noch komischer machen? Susanne Knapp (Inszenierung) und ihre Schwester Jakob Knapp (Bühne und Kostüm) vermögen es. Nach über drei Stunden Genuss eines rasanten „Il Barbiere di Siviglia“ klatscht das Publikum atemlos wie die Darsteller und fragt sich, wo die Zeit hin ist, in der „Die Geschichte von der nutzlosen Vorsicht“ erzählt wird. So flott Gioacchino Rossini seinen „Barbier von Sevilla“ geschrieben hat, so bringen die dynamischen Schwestern die komische Oper auf die Quedlinburger Premieren-Bühne.

Dass sie das schon mal mit sehr ähnlichem Konzept vor knapp zwei Jahren bejubelt am Theater Vorpommern in Originalsprache taten, sollte ihnen gleich mehrfach in der deutschsprachigen Inszenierung zum Vorteil gereichen. Schließlich hält das Publikum bereits die Luft an, als als erster Akteur des Abends unerwartet Intendant Johannes Rieger die Bühne betritt: Musiklehrer Basilio (Gijs Nijkamp) ist nicht nur im zweiten Akt vorgeblich an Gelbfieber erkrankt, dem Bassisten hat es im wahren Leben die Stimme verschlagen, so dass er auf der Bühne sehr theatralisch zu erleben ist, ihm aber Tye Maurice Thomas aus der Ostseeküsten-Inszenierung bei dessen Auftritten seine satte Stimme geben muss.

Dass die Schwestern Knapp dem Publikum im ausverkauften Quedlinburger Haus durchaus kein klamaukiges Possenspiel bieten, zeigen, ohne vordergründig zu politisieren, ihre immer wieder auftauchenden subtile Botschaften.

Die reichen von Basilios Stoffbeutel mit der Aufschrift „Apocalyptica“ bis hin zur Pauke der auf der deutlich zu lesen ist: „Art but fair“. Das steht für eine internationalen Bewegung, die faire Arbeitsbedingungen sowie angemessene Gagen für Sänger, Schauspieler und Musiker durchsetzen will. Das Instrument gehört zur singende Streetband, die die stets sattes Grafen-Honorar kassierenden Opernchorherren mal vorm Haus, mal darin hinter undurchsichtigen Sonnenbrillen bilden.

Die Handlung spielt sich Leporello-ähnlich ab, im riesigen alten Buch mit Anmerkungen und öffnet sich ein Guckkasten, der uns einen Blick auf die eingeengte Rosina in Rosa erlaubt. Viel mehr als der Blick auf diese Barbie bleibt vorerst auch dem komödiantischen Graf Almaviva, der gern im Dienste der Liebessache auch als bezechter Soldat und Student auf Herzenstour geht, vorbehalten.

Ob Kavatine, Kanzone für Rosina oder die finalen Läufe voller Furiosität, Tenor Max An wirkt bestens präpariert und frisch bis zum letzten Ton oder zum letzten verregneten Geldschein. Eine Sternstunde erlebt Bènèdicte Hilbert. Die wirkt nicht nur optisch krass, wenn sie sich aus ihrem rosa Kleid schält, plötzlich im knappen Mini und grasgrünen Stumpfhosen dem Liebsten um den Hals fällt. Jugendfrisch und mit beeindruckend sprudelnder Leichtigkeit schraubt sie sich mit leidenschaftlichem Timbre locker in musikalische Höhen.

Schnell scheinen alle zu hoffen, dass der tattrige Bartolo sein nicht nur finanziell gut ausgestattetes Mündel Rosina nicht unter die heimische Haube bekommt. Klaus-Uwe Rein mixt in sein komödiantisches Spiel Altersweisheit, verschrobene Liebhaber-Allüren und viel Kauziges. Dass er stimmlich dabei überzeugend agiert, bleibt dabei keine Frage.

Auch die zweite Frauen-Rolle bei Rossini, die handfeste Marcellina, wird dank Bettina Pierags zum Sahnestück. Wie sie sich in das Kleid der deutlich jüngeren feschen Rosina zwängen will, um selbst nochmal einen Liebesfrühling zu erleben, einfach köstlich.


Und der titelgebende Barbier? Michael Rapke fügt sich in das von großen Arien bis sehr verständlichen Rezitativen sehr verständlich agierende Ensemble bestens ein. Der lilahaarige Figaro versteht sein Handwerk, verfügt über das nötige Herrschaftswissen, ohne das Almaviva nicht an die schöne Rosina rankommt, aber auch über ausgeprägten Geschäftssinn. Der große Fäden-Zieher tut das eloquent mit geschmeidiger Stimme und dem nötigen Gefühl für Rossinis musikalische Eskapaden.


Die meistert auch das Orchester in seiner ersten Arbeit mit dem neuen finnischen Kapellmeister Kari Kropsu. Der weiß, wie der italienische Meister aufs Gas gedrückt hat, um musikalisch der Handlung Tempo zu verleihen. Dabei hetzt er die Sänger jedoch weder allzu arg durch die Partitur noch dreht er die Lautstärke auf Maximum. So ist der opulente Schlussapplaus für ein begeisterndes Opern-Vergnügen allemal mehr als verdient.